Post by herbert meiser on Apr 12, 2009 16:38:55 GMT -5
Wiss. Assistent Dr. Daniel Krausnick, Erlangen Grundfälle zu Art. 19 III GG
Nach Art. 19 III GG gelten die Grundrechte auch für inländische juristische Personen, soweit sie ihrem Wesen nach auf diese anwendbar sind. Damit erweitert die Vorschrift den Kreis der Grundrechtsberechtigten über denjenigen der natürlichen Personen hinaus. Welchen Umfang diese Erweiterung hat, ist allerdings nicht unumstritten. Die entsprechenden grundrechtsdogmatischen Fragen sollen im folgenden zweiteiligen Beitrag anhand einiger Grundfälle untersucht werden. Teil 1 (in diesem Heft) befasst sich mit Rechtssubjekten des Privatrechts als Grundrechtsträgern, Teil 2 (im nächsten Heft) mit solchen des Öffentlichen Rechts sowie mit grundrechtlichen Fragen im Zusammenhang mit der Erfüllung öffentlicher Aufgaben.
A. Grundrechtsfähigkeit von Rechtssubjekten des Privatrechts nach Art- 19 III GG
Bei der Anwendung des Art. 19 III GG auf Rechtssubjekte des Privatrechts sind im Wesentlichen drei Fragenkomplexe zu unterscheiden: Welche Personenmehrheiten und Organisationen sind als „juristische Personen" i. S. des Art. 19 III GG anzusehen (I), wann erfüllen diese Rechts Subjekte das Merkmal „inländisch" (II) und welche Grundrechte sind jeweils „ihrem Wesen nach" anwendbar (III).
I. Begriff der juristischen Person i. S. des Art. 19 III GG
Fall 11: Die Wohnungsbaugesellschafter W, eine Gesellschaft bürgerlichen Rechts (GbR), ist Eigentümerin eines Mietshauses und hat gegen zwei ihrer Mieter erfolglos versucht, ein Räumungsurteil zu erwirken. W denkt über eine Urteilsverfassungsbeschwerde nach. Wäre W beschwerdeberechtigt?
Fall 2: Angenommen, in Fall 1 hätte sich W vor dem Prozess als Kommanditistin an der V GmbH & Co. KG beteiligt und das Mietshaus als Einlage an diese übereignet. Könnte
auch die V GmbH &: Co. KG Verfassungsbeschwerde erheben?
Fall 3: Die P-Partei hält Minderheitsbeteiligungen an einigen Tageszeitungen. Um zu enge Verflechtungen von Politik und Medien zu vermeiden, sollen durch eine Änderung des Parteiengesetzes derartige Beteiligungen untersagt werden. Könnte darin eine unzulässige Beschränkung von Grundrechten der P-Partei liegen?
Fall 4: Der Verein von Globalisierungsgegnern G e.V. har eine Demonstration organisiert, die, nachdem es zu Ausschreitungen gekommen war, von der Polizei aufgelöst wurde. G will sich gegen das polizeiliche Vorgehen wehren und nach erfolglosem Beschreiten des Rechtswegs Verfassungsbeschwerde im eigenen Namen und im Namen der Versammlung erheben. Wären die Beschwerden zulässig?
Art. 19 III GG verwendet den Begriff der juristischen Person, ohne ihn zu erläutern. Auch im Privatrecht fehlt es zwar an einer entsprechenden Legaldefinition, zahlreiche Personenmehrheiten und Organisationen sind jedoch als juristische Personen anerkannt, insbesondere der e.V. (§§ 21, 22 BGB), die Stiftung bürgerlichen Rechts (§ 80 BGB), die GmbH (§ 13 I GmbHG), die AG (§ 1 I 1 AktG), die KGaA (§ 278 I AktG), die eG (§ 17 I GenG) und der WaG (§ 15 VAG)2 . Dem Verfassungsgeber war dies bekannt, er hat in Art. 19 III GG den Begriff „juristische Person" aber dennoch nicht ein-gegrenzt. Deshalb ist anzunehmen, dass Rechtssubjekte, die das Privatrecht als juristische Personen einstuft, auch juristische Personen i. S. des Art. 19 III GG und damit potenzielle Grundrechtsträger sein sollen3 Als Terminus des Verfassungsrechts ist der Begriff „juristische Person" in Art. 19 III GG jedoch grundsätzlich nach eigenen Maßstäben (d. h. unabhängig vom Privatrecht) auszulegen4. Dass das Privatrecht bestimmten Personenmehrheiten und Organisationen im Gegensatz zu den soeben Genannten nur eine (stärker) begrenzte Fähigkeit zuerkennt, Träger von Rechten und Pflichten zu sein (Teilrechtsfähigkeit) 5, zwingt daher nicht dazu, diese auch aus dem Kreis der juristischen Personen i.S. des Art. 19 III GG auszuschließen. In Rechtsprechung und Literatur besteht sogar Einigkeit darüber, dass auch teilrechtsfähige Gebilde wie etwa die OHG (§ 124 I HGB), die KG (§ 161 II HGB), der nicht eingetragene Verein {§ 54 BGB) und die Partnerschaftsgesellschaft (§ 7 II PartGG i. V- mit §124 1 HGB) als juristische Personen i.S. des Art. 19 III GG anzusehen sind6. Umstritten ist lediglich die Begründung. Eine Ansicht argumentiert mit einem Erst-Recht-Schluss: Wenn juristische Personen potenziell grundrechtsberechtigt seien, müsse dies für teilrechtsfähige Rechtssubjekte, die im Verhältnis zu ihren Mitgliedern weniger verselbstständigt als juristische Personen seien, erst recht gelten7. Dieser Schluss ist jedoch nicht zwingend. Art. 19 III GG könnte auch so zu lesen sein, dass Grundrechtsschutz nur „Voll-Rechtsfähigen" zukommen soll (also natürlichen und „echten" juristischen Personen)8 . Überzeugender erscheint es, auf die vergleichbare Schutzwürdigkeit von „echten" juristischen Personen und teilrechtsfähigen Rechtssubjekten abzustellen9 . Dass der BGH seit einiger Zeit auch die (Teil-)Rechtsfähigkeit der GbR anerkennt10, spricht deshalb dafür, diese auch nach Art. 19 III GG als grundrechtsfähig anzusehen11. In Fall 1 ist W ist somit als potenzielle Trägerin von Grundrechten verfassungsbeschwerdeberechtigt 12 . Ob auch andere Gesamthandsgemeinschaften (z. B. die Erbengemeinschaft) potenzielle Grundrechtsträger i. S. des Art. 19 III GG sind, hat das BVerfG bisher nicht entschieden.
Dafür spricht, dass eine Differenzierung zwischen verschiedenen teilrechtsfähigen Einheiten nur schwer begründbar ist 13 Die genannten zumindest teil rechtsfähigen Rechtssubjekte können durch Zusammenschluss neue Rechtssubjekte bilden. So kann etwa (wie in Fall 2) aus mehreren Gesellschaften und/ oder Einzelpersonen als Kommanditisten zusammen mit einer GmbH als Komplementärin eine GmbH & Co. KG entstehen. Unstreitig sind auch diese Zusammenschlüsse nach Art. 19 III GG grundrechtsfähig14. Das BVerfG befürwortet jedoch eine Abschwächung des Grundrechtsschutzes bei Kapitalgesell-schaften mit geringem gesellschaftsrechtlichem Bezug zu Einzelpersonen15. Hier kommt die als »Durchgriffsthese" bezeichnete Ansicht, nach der der von Art. 19 III GG vermittelte Grundrechtsschutz primär nicht der juristischen Person selbst, sondern den hinter ihr stehenden Einzelpersonen dienen soll16 , deutlich zum Ausdruck. Eine solche Einschränkung des Grundrechtsschutzes für Kapitalgesellschaften ist mit dem Wortlaut des Art. 19 III GG, der nicht zwischen verschiedenen inländischen juristischen Personen differenziert, jedoch kaum zu vereinbaren17. In Fall 2 kann die V GmbH Sc Co. KG nach der hier vertretenen Auffassung Verfassungsbeschwerde erheben; das BVerfG dürfte das wohl anders beurteilen. Auch die Grundrechtsfähigkeit (und die daraus folgende Verfassungsbeschwerdeberechtigung) politischer Parteien und kommunaler Wählervereinigungen erkennt das BVerfG in ständiger Rechtsprechung an18, was schon
deshalb überzeugt, weil Parteien als Vereine organisiert sind19. Allerdings leitet das Gericht aus Art. 21 GG auch eine Verfassungsorganqualität der Parteien her und erkennt ihnen deshalb die Fähigkeit zu, Antragsteller im Organstreitverfahren nach Art. 93 I Nr. 1 GG zu sein20 . Beide Verfahrensarten sind danach abzugrenzen, ob die Partei in ihrer spezifischen verfassungsrechtlichen Funktion betroffen ist (Organstreit) oder nur wie jeder andere Verein auch (Verfassungsbeschwerde) 21. In Fall 3 ist die verfassungsrechtliche Funktion der Parteien durch die Änderung des Parteiengesetzes höchstens mittelbar betroffen22. Eine unzulässige Beschränkung von Grundrechten der P-Partei kommt daher grundsätzlich in Betracht. Aus dem Begriff »juristische Person" in Art. 19 III GG folgt, dass nur Gebilde erfasst sein können, die in irgendeiner Weise rechtlich verfasst sind. Schlichte Personenmehrheiten
wie die in Fall 4 erwähnte Versammlung oder die Familie LS. des Art. 6 GG fallen daher nicht in den Anwendungsbereich des Art. 19 III GG23 . Die in Fall 4 von G im eigenen Namen erhobene Verfassungsbeschwerde ist somit zulässig, die im Namen der Versammlung erhobene hingegen nicht.
II. Beschränkung auf inländische juristische Personen
Fall 5(24): Gegen den Verein „Kurdistan-Komitee e. V.", dessen Mitglieder überwiegend Ausländer waren und der ein Büro in Köln unterhielt, wurde ein Vereinsverbot verhängt. Verletzt dieses Verbot den Verein möglicherweise in seinem Grundrecht aus Art. 9 I GG?
Fall 6: Die C. Ltd., eine in Großbritannien gegründete, fast ausschließlich in Dänemark aktive Gesellschaft, dehnt ihre geschäftlichen Aktivitäten auf Deutschland aus und gründet zu diesem Zweck die Tochtergesellschaft „C. Germany Ltd." mit Sitz in Bonn. Sind die C. Germany Ltd. und/oder die C. Ltd. grundrechtsfähig? „Inländische juristische Personen" i. S. des Art. 19 III GG sind (zumindest) teilrechtsfähige Personenmehrheiten im o. g. Sinne, die ihren Sitz im Inland, d.h. innerhalb der Grenzen der Bundesrepublik haben25. Unter Sitz ist hierbei der effektive Sitz zu verstehen, also der tatsächliche Schwerpunkt der Tätigkeit 26 . Bei Niederlassungen ausländischer Unternehmen kommt eine Grundrechtsfähigkeit nach Art. 19 III GG jedenfalls dann in Betracht, wenn die Niederlassung durch Tochtergesellschaften erfolgt27. Dass die C. Germany Ltd. in Fall 6 nur die Tochter einer ausländischen Gesellschaft ist, ist für ihre Grundrechtsfähigkeit i. S. des Art. 19 III GG somit gleichgültig. Die C. Ltd. hingegen hat ihren Sitz außerhalb des Bundesgebiets und kann sich deshalb prinzipiell nicht auf Art. 19 III GG berufen28. Ob daraus, dass sie zumindest innerhalb der EU ansässig ist, etwas Anderes folgt, ist noch näher zu untersuchen. Art. 19 III GG ist ferner nicht zu entnehmen, dass die Grundrechtsfähigkeit neben dem Sitz im Inland auch die Verwendung einer inländischen Rechtsform voraussetzt. Die Regelung ist im Lichte des EU-Rechts, insbesondere der Niederlassungsfreiheit (Art. 43, 48 EG) auszulegen, so dass jedenfalls Gesellschaften, die nach dem Recht eines EU-Mitgliedstaates (z.B. eine britische Ltd.) oder nach genuin Europäischem Recht (z.B. eine EWIV oder eine SE29) als teilrechtsfähige Rechtssubjekte anzusehen sind, sich auf diesen Status auch sub specie Art. 19 III GG in der Bundesrepublik berufen können, sofern sie dort ansässig sind. Dass die C. Germany Ltd. in Fall 6 eine ausländische Rechtsform hat, spielt somit ebenfalls keine Rolle. Sie ist nach Art. 19 III GG grundrechtsfähig. Aus dem Wortlaut des Art. 19 III GG ergibt sich ferner, dass die Eigenschaft „inländisch" von der juristischen Person, nicht (notwendig) aber auch von ihren Mitgliedern erfüllt werden muss. Dass in Fall 5 die Mitglieder des Vereins mehrheitlich Ausländer sind (sog. Ausländerverein), ist für dessen Grundrechtsfähigkeit somit prinzipiell ohne Belang. Anders ist dies nach einer Ansicht jedoch dann, wenn sich ein Ausländerverein auf Deutschengrundrechte berufen will30.
Die Gegenansicht31 macht geltend, dass der Grundrechtsschutz einer juristischen Person nicht von der (schwankenden) Beteiligung an ihr abhängen könne und dass ein Ausschluss von den Deutschengrundrechten gegenüber den (minderheitlich) beteiligten Deutschen nicht zu rechtfertigen sei. Für die erstere Ansicht spricht, dass nur sie es ermöglicht, die Unterscheidung des Grundgesetzes zwischen Deutschengrundrechten und sonstigen Grundrechten auch auf juristische Personen zu übertragen. Folgte man der Gegenansicht, könnten Ausländer ferner schon durch Gründung einer EinMann-GmbH Grundrechtsfähigkeit auch für die Deutschengrundrechte erlangen. Der Gründer der Ein-Mann-GmbH könnte sich im Zeitpunkt der Gründung nicht auf die Vereinigungsfreiheit berufen, weil Art. 9 I GG ein Deutschengrundrecht ist, die GmbH nach ihrer Gründung allerdings schon32. Der Grundrechtsschutz für juristische Personen ist außerdem ohnehin schwächer als für Einzelpersonen, weil bei ersteren eine Änderung der Staatszugehörigkeit durch Sitzverlegung ins Ausland zum (abgesehen von Art. 101 12 und 103 I GG33) vollständigen Verlust der Grundrechtsberechtigung führen kann34, während Einzelpersonen selbst bei Änderung ihrer Staatsangehörigkeit die Menschenrechte des Grundgesetzes verbleiben. Der Verein in Fall 5 kann sich daher nicht auf Art. 9 I GG berufen. Umstritten ist die Einordnung von (teil-)rechtsfähigen Personenmehrheiten aus dem EU-Ausland ohne inländischen (effektiven) Sitz: Von der mittlerweile wohl h. L. wird gefordert, diese wegen des allgemeinen Diskriminierungsverbots nach Art. 12 EG den inländischen juristischen Personen gleichzustellen und auch auf sie Art. 19 III GG anzuwenden35. Nach dieser Ansicht wäre in Fall 6 neben der C. Germany Ltd. auch die C. Ltd. grundrechtsfähig. Dies überzeugt jedenalls im Ergebnis: Im Anwendungsbereich des EG-Vertrages ist prinzipiell jede Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit (bzw. bei Gesellschaften: Staatszugehörigkeit) verboten36. Eine Verweigerung der rundrechtsfähigkeit wegen eines (effektiven) Sitzes im EU-Ausland ist eine solche Diskriminierung und ihre Rechtfertigung verfassungs- wie europarechtlich nur schwer begründbar37. Das Argument der Gegenansicht, eine Anwendung des Art. 19 III GG auf Rechtssubjekte aus dem EU-Ausland sei nicht notwendig, weil die europarechtlichen Diskriminierungsverböte nach der Rechtsprechung des EuGH
ohnehin mit Anwendungsvorrang vor dem deutschen Recht unmittelbar gelten würden38, verkennt, dass ohne Anwendung des Art. 19 III GG diesen Rechtssubjekten jedenfalls der Rechtsweg zum BVerfG verschlossen bleibt39. Dass dies in europarechtlicher Hinsicht unbeachtlich sein soll, lässt sich trotz der geringen Erfolgsquote von Verfassungsbeschwerden wohl nur schwer geltend machen.
Europarechtsdogmatisch ist allerdings anzumerken, dass Art. 12 EG subsidiär zu den Grundfreiheiten des EG-Vertrages ist40. Im Anwendungsbereich einer dieser Freiheiten ist die Argumentation dafür, dass Art. 19 III GG auch für (teil-)rechtsfähige Rechtssubjekte aus dem EU-Ausland gilt, deshalb auf das entsprechende Diskriminierungsverbot (z. B. Art. 28 oder 43 EG) zu stützen
III. Grundrechtsberechtigung aus Art. 19 III GG
Fall 7: Die private Stiftung „Mütterhilfe" will für eine Veranstaltung einen staatlichen Zuschuss erhalten. Dies wird ihr verweigert. Die Geschäftsführerin Eva H sieht darin eine Verletzung der Grundrechte aus Art. 3 II GG und 6 IV GG. Zutreffend?
Fall 8: Die C. Ltd. aus Fall 6 verlegt ihren effektiven Hauptsitz in die Schweiz. In einem Wettbewerbsprozess der C. Germany Ltd. gegen ein Konkurrenzunternehmen will die C. Ltd. wenig später bestimmte Beweise vorlegen, um die Klage zu unterstützen. Das zuständige Gericht
lehnt dies jedoch ab. Liegt darin ein Grundrechtseingriff gegenüber der C. Ltd.?
1. Allgemeiner Umfang der Grundrechtsfähigkeit
Art. 19 III GG verschafft (teil-)rechtsfähigen Rechtssubjekten eine Berechtigung aus Grundrechten, „soweit (diese) ihrem Wesen nach" auf sie anwendbar sind. Diese Formulierung ist etwas nebulös41. Dennoch ergeben sich aus ihr zumindest drei klare Eingrenzungen: Ihrem Wesen nach anwendbar können nur Grundrechte sein, die nicht ausschließlich durch Einzelpersonen, sondern auch durch ein Kollektiv (oder zumindest durch dessen Organe) ausgeübt werden können42. Außerdem wird juristischen Personen die Grundrechtsfähigkeit durch Art. 19 III GG gerade deshalb zuerkannt, weil sie selbstständige Träger von Rechten und Pflichten sein können. Daher kann die Grundrechtsfähigkeit einer juristischen Person i. S. des Art. 19 III GG nie weiter reichen als ihre Rechtsfähigkeit bzw. ihr rechtliches Können43. Schließlich macht die Formulierung „soweit" deutlich, dass u.U. nur Teilgehalte eines Grundrechts Anwendung finden44.
Relativ unstreitig ist auch die Frage, in welchem zeitlichen Umfang sich juristische Personen auf Grundrechte berufen können. Aus Art. 19 III GG geht eindeutig hervor, dass natürliche und juristische Personen hinsichtlich der wesensmäßig auf beide anwendbaren Rechte gleichgestellt werden sollen. Diese Gleichstellung ist nur gegeben, wenn auch der Grundrechtsschutz juristischer Personen quasi von der Geburt bis zum Tod, d. h. von der Gründung bis zum Abschluss der Liquidation reicht45.
2. Anwendbare Grundrechte im Einzelnen
Ob eine juristische Person eine Persönlichkeit i. S. des Art. 2 I GG haben kann, erscheint zweifelhaft. Dennoch hält die ganz h. M. jedenfalls die allgemeine Handlungsfreiheit als Teil-gehalt des Art. 2 I GG auf juristische Personen i. S. des Art. 19 III GG für anwendbar46. Dies überzeugt, weil bei natürlichen und juristischen Personen das gleiche Bedürfnis besteht, vor prinzipiell allen belastenden staatlichen Maßnahmen geschützt zu sein. Ebenso gilt, da auch juristische Personen rechtswidrigen Ungleichbehandlungen ausgesetzt sein können, der allgemeine Gleichheitssatz nach Art. 3 I GG47. In welchem Umfang die „Neue Formel" des BVerfG, nach der personenbezogene Ungleichbehandlungen strengeren Anforderungen unterliegen als sachbezogene48, für juristische Personen Anwendung findet, ist umstritten49. Eine personenbezogene Ungleichbehandlung dürfte wohl vorliegen, wenn eine juristische Person wegen ihrer Rechtsform anders als andere juristische Personen behandelt wird. Werden juristische Personen im Vergleich zu Individuen unterschiedlich behandelt, kann diese Ungleichbehandlung auch deshalb gerechtfertigt sein, weil sie Vorgaben der Verfassung entspricht, die wie z. B. das Sozialstaatsprinzip nur auf natürliche Personen Anwendung finden50. Durch ein Kollektiv oder durch dessen Organe können ferner die wirtschaftlichen Grundrechte, das sind neben der allgemeinen wirtschaftlichen (Handlungsfreiheit (Art. 2 I GG) die Berufsfreiheit (Art. 12 I GG)51 und das Eigentum (Art. 14 I GG), ausgeübt werden52. Ähnliches gilt für die Vereinigungsfreiheit (Art. 9 I GG), die juristischen Personen i. S. des Art. 19 III GG insbesondere das Recht gewährleistet, sieb mit anderen (teil-)rechtsfähigen Einheiten z.B. zu Dachverbänden zusammenzuschließen53. Das Verhältnis zwischen Art. 9 I und 19 III GG ist im Übrigen umstritten: Das BVerfG sieht Art. 9 I GG als Doppel-
grundrecht, das sowohl Einzelnen die Gründung von, Beteiligung an und Betätigung in Vereinigungen garantiert als auch für die Vereinigung als solche (unabhängig von Art. 19 III GG) Rechte gewährleistet54. Besser der Verfassungssystematik entspricht wohl die Gegenposition55, die für die Gründung von Vereinigungen auf Art. 9 I GG abstellt, die Grundrechtsfähigkeit der gegründeten (oder in Gründung befindlichen) Vereinigungen aber auf Art. 19 III GG stützt. Die Koalitionsfreiheit nach Art. 9 III 1 GG kann auf Arbeitgeberseite unproblematisch von juristischen Personen wahrgenommen werden, auf Arbeitnehmerseite ist zumindest ein Zusammenschluss von Gewerkschaften zu Spitzenverbänden denkbar56. Die Freizügigkeit (Art. 11 GG) als Freiheit der Sitzbegründung und Sitzverlegung sowie die Unverletzlichkeit der Wohnung nach Art. 13 1 GG (v. a. zum Schutz von Geschäftsräumen) erstrecken sich ebenfalls auf juristische Personen57.
Einen weiteren Kreis von Grundrechten, die für juristische Personen i. S. des Art. 19 III GG gelten können, bilden die Kommunikationsgrundrechte der Art. 5 I und 8 GG. Zwar kann diese Rechte regelmäßig nicht das Kollektiv als solches ausüben, wohl aber ist ein Handeln durch die Organe (z. B. eine Meinungsäußerung oder das Organisieren und Abhalten einer Versammlung [vgl. Fall 4]) möglich. Auch die Ungestörtheit der Kommunikationsvorgänge ist in gleicher Weise Schützens wert wie bei natürlichen Personen. Daher findet das Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnis nach Art. 101 GG auf juristische Personen Anwendung58.
Anwendbar sind ferner die kulturellen Rechte, insbesondere die Kunst- und Wissenschaftsfreiheit (Art. 5 III 1 GG) sowie die Privatschulfreiheit nach Art. 7 IV GG59. Die Religionsund Weltanschauungsfreiheit nach Art. 4 I, II GG60 ist zwar nicht deshalb anwendbar, weil Kollektive als solche glauben oder eine Weltanschauung haben könnten, wohl aber deshalb, weil sie aus Art. 4 I, II GG berechtigten Individuen Foren dafür bieten, entsprechend ihren Überzeugungen zu leben und zu handeln61. Für die Ungleichbehandlung von aus Art. 4 I, II GG berechtigten juristischen Personen i. S. des Art. 19 III GG gilt das spezielle Diskriminierungsverbot nach Art. 3 III GG {„Glauben")62. Das BVerfG sieht Art. 4 I, II GG und Art. 5 III GG außerdem ähnlich wie Art, 9 I GG als „Doppelgrundrecbte" und erwähnt Art. 19 III GG bei der Frage der Religions- oder Wissenschaftsfreiheit von Kollektiven deshalb regelmäßig nicht63. Dies ist, wie dargelegt, aus verfassungssystematischen Gründen nicht sinnvoll.
Auch eine Berufung juristischer Personen auf politische Rechte, die kollektiv ausgeübt werden können, wie das Petitions-recht (Art. 17 GG) und das Widerstandsrecht {Art. 20 IV GG) erscheint nicht ausgeschlossen64, Letzteres allerdings nur, soweit man unter „Grundrechten" i. S. des Art. 19 III GG auch Rechte außerhalb der Art. 1-19 GG versteht.
Aus der (Teil-)Rechtsfähigkeit der in den Anwendungsbereich des Art. 19 III GG fallenden Rechtssubjekte ergibt sich zwangsläufig ein Bedürfnis nach Rechtsschutz. Daher können sich juristische Personen LS. des Art. 19 III GG auch auf die Rechtsschutzgarantie des Art. 19 IV GG berufen65. Ebenso gelten die Grundrechte nach Art. 103 II, III GG jedenfalls insoweit, als das Handeln juristischer Personen den Strafgesetzen unterliegt66.
3. Nicht anwendbare Grundrechte
Nicht anwendbar LS. des Art. 19 III GG sind Grundrechte, die ihrem Wortlaut oder Sinn und Zweck nach nur durch Individuen ausgeübt werden können. Hierzu zählen zunächst die Grundrechte aus Art. 2 II GG: Körperlich unversehrt sein und leben im medizinisch-biologischen Sinne (Art. 2 II 1 GG) kann eine juristische Person ebenso wenig wie sie eine körperliche Fortbewegungsfreiheit L S. des Art. 2 II 2 und 104 GG besitzt. Eine juristische Person hat ferner kein Geschlecht und kann daher nicht aus Art. 3 II 1 GG berechtigt sein. Auch die speziellen Ungleichbehandlungsverböte nach Art. 3 III GG können jedenfalls insoweit keine Anwendung finden, als sie an spezifisch menschliche Eigenschaften anknüpfen (Geschlecht, Abstammung, Rasse, Sprache, Behinderung)67. Für Art. 4 I Var. 2 GG (Gewissensfreiheit) gilt Entsprechendes, da eine juristische Person kein gegenüber dem Gewissen ihrer Mitglieder eigenständiges Gewissen haben kann.
Für die in Art. 3 II 1, 3 III und 4 I Var. 2 GG genannten Rechte kann sich zwar eine juristische Person als Interessenvertretung einsetzen. Dies reicht jedoch nicht aus, um eine Grundrechtsfähigkeit nach Art. 19 III GG anzunehmen, denn Art. 19 III GG zielt schon seinem Wortlaut nach („auf diese") auf eine eigenständige Grundrechts berech tigung ab, nicht auf eine Art grundrechtlicher Prozessstandschaft68.
Ausgeschlossen ist ferner eine Eheschließung oder gar eine Elternschaft durch juristische Personen. Auch Art. 6, 7 II GG sind daher nicht anwendbar. Die Ansicht der H in Fall 7 ist somit unzutreffend.
Ebenso können juristische Personen nicht gegen ihren Willen zum Kriegsdienst mit der Waffe (Art, 4 III 1 GG) und zur Erteilung von Religionsunterricht (Art. 7 III GG) gezwungen oder zur Zwangsarbeit verpflichtet werden {Art. 12 II, III GG).
Eine weitere Gruppe auf juristische Personen nicht anwendbarer Grundrechtsgehalte bilden diejenigen, die engen Bezug zur Menschenwürde nach Art. 1 I GG aufweisen und die
deshalb (wie die Menschenwürde selbst) nur Individuen zustehen können: Dazu gehören Teile des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts i.S. des Art. 21 i.V. mit 1 I GG mit spezifischem Menschenwürdebezug, insbesondere das Recht, sich nicht selbst einer Straftat bezichtigen zu müssen69. Elemente dieses Grundrechts ohne diesen Bezug (z.B. das Recht am gesprochenen Wort70) finden hingegen nach Art. 19 III GG Anwendung71. Ob juristische Personen ein umfassendes Recht auf informationelle Selbstbestimmung haben, kann regelmäßig dahinstehen, weil zumindest ihre wirtschaftlichen Daten über die entsprechenden wirtschaftlichen Grundrechte geschützt sind72. Auf Grund des engen Bezugs zur (individuellen) Menschenwürde ebenfalls nicht anwendbar sind der Schutz vor Ausbürgerung und Auslieferung (Art. 16 I und II 1 GG) sowie das Asylrecht (Art. 16 a GG)73.
Abgesehen davon, dass vorab zu klären wäre, ob Art. 19 III GG mit dem Begriff „Grundrechte" nur diejenigen der Art. 1-19 GG meint74 oder auch grundrechtsgleiche Rechte75, kommt jedenfalls bei Art. 33 I—III und 38 GG ein Schutz juristischer Personen nicht in Betracht76. Staatsbürgerliche Rechte und Pflichten haben, öffentliche Ämter bekleiden oder gar wählen können nur natürliche Personen.
4. Sonderfall: Justizgrundrechte und allgemeines Willkürverbot
Einen Sonderfall stellen die Rechte aus Art. 10112 und 103 1 GG dar: Diese erkennt das BVerfG allen in- und ausländischen zumindest teilrechtsfähigen Rechtssubjekten zu77. Begründet wird dies damit, dass Art. 1011 2 und 103 l GG keine Individualrechte, sondern objektive Verfahrensgrundsätze seien und auch formell nicht zu den Grundrechten gehörten78. Die Qualität als (zugleich) objektiver Rechtssatz kommt jedoch auch den Grundrechten zu79. Außerdem spricht der Wortlaut beider Bestimmungen klar dafür, dass es sich um Individualrechte handelt. Die Sicht des BVerfG lässt sich am ehesten mit der Verfassungssystematik begründen. Dieser Begründungsansatz ist jedoch ambivalent: Bezieht man den Begriff der Grundrechte in Art, 19 III GG nur auf Art. 1-19 GG, könnte man daraus ableiten, dass (teil-)rechtsfähige Rechtssubjekte sich auf andere Rechte aus der Verfassung ohne Einschränkungen berufen können. Genauso wäre es aber möglich, Art. 19 III GG so zu lesen, dass eben nur die Grundrechte der Art. 1-19 GG auch für juristische Personen gelten können. Eine Anwendung der Justizgrundrechte auf Rechtssubjekte, die nicht unter Art. 19 III GG fallen, ist im Ergebnis aber dennoch zutreffend, denn dies gebietet der Grundsatz der prozessualen Waffengleichheit80. Dass sich wie in Fall 8 eine ausländische juristische Person auf ein Justizgrundrecht (hier Art. 103 I GG) beruft, ist daher denkbar81.
Neben den Justizgrundrechten wendet das BVerfG auch das allgemeine Willkürverbot auf schlechthin alle zumindest teilrechtsfähigen Rechtssubjekte an, verankert dieses Gebot allerdings nicht in Art. 3 I GG, sondern im Rechtsstaatsprinzip82. Dies überzeugt. Das allgemeine Willkürverbot ist elementarer Bestandteil des im Rechtsstaatsprinzip wurzelnden Grundsatzes der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung und daher unabhängig von Art. 19 III GG anwendbar83.
Nach Art. 19 III GG gelten die Grundrechte auch für inländische juristische Personen, soweit sie ihrem Wesen nach auf diese anwendbar sind. Damit erweitert die Vorschrift den Kreis der Grundrechtsberechtigten über denjenigen der natürlichen Personen hinaus. Welchen Umfang diese Erweiterung hat, ist allerdings nicht unumstritten. Die entsprechenden grundrechtsdogmatischen Fragen sollen im folgenden zweiteiligen Beitrag anhand einiger Grundfälle untersucht werden. Teil 1 (in diesem Heft) befasst sich mit Rechtssubjekten des Privatrechts als Grundrechtsträgern, Teil 2 (im nächsten Heft) mit solchen des Öffentlichen Rechts sowie mit grundrechtlichen Fragen im Zusammenhang mit der Erfüllung öffentlicher Aufgaben.
A. Grundrechtsfähigkeit von Rechtssubjekten des Privatrechts nach Art- 19 III GG
Bei der Anwendung des Art. 19 III GG auf Rechtssubjekte des Privatrechts sind im Wesentlichen drei Fragenkomplexe zu unterscheiden: Welche Personenmehrheiten und Organisationen sind als „juristische Personen" i. S. des Art. 19 III GG anzusehen (I), wann erfüllen diese Rechts Subjekte das Merkmal „inländisch" (II) und welche Grundrechte sind jeweils „ihrem Wesen nach" anwendbar (III).
I. Begriff der juristischen Person i. S. des Art. 19 III GG
Fall 11: Die Wohnungsbaugesellschafter W, eine Gesellschaft bürgerlichen Rechts (GbR), ist Eigentümerin eines Mietshauses und hat gegen zwei ihrer Mieter erfolglos versucht, ein Räumungsurteil zu erwirken. W denkt über eine Urteilsverfassungsbeschwerde nach. Wäre W beschwerdeberechtigt?
Fall 2: Angenommen, in Fall 1 hätte sich W vor dem Prozess als Kommanditistin an der V GmbH & Co. KG beteiligt und das Mietshaus als Einlage an diese übereignet. Könnte
auch die V GmbH &: Co. KG Verfassungsbeschwerde erheben?
Fall 3: Die P-Partei hält Minderheitsbeteiligungen an einigen Tageszeitungen. Um zu enge Verflechtungen von Politik und Medien zu vermeiden, sollen durch eine Änderung des Parteiengesetzes derartige Beteiligungen untersagt werden. Könnte darin eine unzulässige Beschränkung von Grundrechten der P-Partei liegen?
Fall 4: Der Verein von Globalisierungsgegnern G e.V. har eine Demonstration organisiert, die, nachdem es zu Ausschreitungen gekommen war, von der Polizei aufgelöst wurde. G will sich gegen das polizeiliche Vorgehen wehren und nach erfolglosem Beschreiten des Rechtswegs Verfassungsbeschwerde im eigenen Namen und im Namen der Versammlung erheben. Wären die Beschwerden zulässig?
Art. 19 III GG verwendet den Begriff der juristischen Person, ohne ihn zu erläutern. Auch im Privatrecht fehlt es zwar an einer entsprechenden Legaldefinition, zahlreiche Personenmehrheiten und Organisationen sind jedoch als juristische Personen anerkannt, insbesondere der e.V. (§§ 21, 22 BGB), die Stiftung bürgerlichen Rechts (§ 80 BGB), die GmbH (§ 13 I GmbHG), die AG (§ 1 I 1 AktG), die KGaA (§ 278 I AktG), die eG (§ 17 I GenG) und der WaG (§ 15 VAG)2 . Dem Verfassungsgeber war dies bekannt, er hat in Art. 19 III GG den Begriff „juristische Person" aber dennoch nicht ein-gegrenzt. Deshalb ist anzunehmen, dass Rechtssubjekte, die das Privatrecht als juristische Personen einstuft, auch juristische Personen i. S. des Art. 19 III GG und damit potenzielle Grundrechtsträger sein sollen3 Als Terminus des Verfassungsrechts ist der Begriff „juristische Person" in Art. 19 III GG jedoch grundsätzlich nach eigenen Maßstäben (d. h. unabhängig vom Privatrecht) auszulegen4. Dass das Privatrecht bestimmten Personenmehrheiten und Organisationen im Gegensatz zu den soeben Genannten nur eine (stärker) begrenzte Fähigkeit zuerkennt, Träger von Rechten und Pflichten zu sein (Teilrechtsfähigkeit) 5, zwingt daher nicht dazu, diese auch aus dem Kreis der juristischen Personen i.S. des Art. 19 III GG auszuschließen. In Rechtsprechung und Literatur besteht sogar Einigkeit darüber, dass auch teilrechtsfähige Gebilde wie etwa die OHG (§ 124 I HGB), die KG (§ 161 II HGB), der nicht eingetragene Verein {§ 54 BGB) und die Partnerschaftsgesellschaft (§ 7 II PartGG i. V- mit §124 1 HGB) als juristische Personen i.S. des Art. 19 III GG anzusehen sind6. Umstritten ist lediglich die Begründung. Eine Ansicht argumentiert mit einem Erst-Recht-Schluss: Wenn juristische Personen potenziell grundrechtsberechtigt seien, müsse dies für teilrechtsfähige Rechtssubjekte, die im Verhältnis zu ihren Mitgliedern weniger verselbstständigt als juristische Personen seien, erst recht gelten7. Dieser Schluss ist jedoch nicht zwingend. Art. 19 III GG könnte auch so zu lesen sein, dass Grundrechtsschutz nur „Voll-Rechtsfähigen" zukommen soll (also natürlichen und „echten" juristischen Personen)8 . Überzeugender erscheint es, auf die vergleichbare Schutzwürdigkeit von „echten" juristischen Personen und teilrechtsfähigen Rechtssubjekten abzustellen9 . Dass der BGH seit einiger Zeit auch die (Teil-)Rechtsfähigkeit der GbR anerkennt10, spricht deshalb dafür, diese auch nach Art. 19 III GG als grundrechtsfähig anzusehen11. In Fall 1 ist W ist somit als potenzielle Trägerin von Grundrechten verfassungsbeschwerdeberechtigt 12 . Ob auch andere Gesamthandsgemeinschaften (z. B. die Erbengemeinschaft) potenzielle Grundrechtsträger i. S. des Art. 19 III GG sind, hat das BVerfG bisher nicht entschieden.
Dafür spricht, dass eine Differenzierung zwischen verschiedenen teilrechtsfähigen Einheiten nur schwer begründbar ist 13 Die genannten zumindest teil rechtsfähigen Rechtssubjekte können durch Zusammenschluss neue Rechtssubjekte bilden. So kann etwa (wie in Fall 2) aus mehreren Gesellschaften und/ oder Einzelpersonen als Kommanditisten zusammen mit einer GmbH als Komplementärin eine GmbH & Co. KG entstehen. Unstreitig sind auch diese Zusammenschlüsse nach Art. 19 III GG grundrechtsfähig14. Das BVerfG befürwortet jedoch eine Abschwächung des Grundrechtsschutzes bei Kapitalgesell-schaften mit geringem gesellschaftsrechtlichem Bezug zu Einzelpersonen15. Hier kommt die als »Durchgriffsthese" bezeichnete Ansicht, nach der der von Art. 19 III GG vermittelte Grundrechtsschutz primär nicht der juristischen Person selbst, sondern den hinter ihr stehenden Einzelpersonen dienen soll16 , deutlich zum Ausdruck. Eine solche Einschränkung des Grundrechtsschutzes für Kapitalgesellschaften ist mit dem Wortlaut des Art. 19 III GG, der nicht zwischen verschiedenen inländischen juristischen Personen differenziert, jedoch kaum zu vereinbaren17. In Fall 2 kann die V GmbH Sc Co. KG nach der hier vertretenen Auffassung Verfassungsbeschwerde erheben; das BVerfG dürfte das wohl anders beurteilen. Auch die Grundrechtsfähigkeit (und die daraus folgende Verfassungsbeschwerdeberechtigung) politischer Parteien und kommunaler Wählervereinigungen erkennt das BVerfG in ständiger Rechtsprechung an18, was schon
deshalb überzeugt, weil Parteien als Vereine organisiert sind19. Allerdings leitet das Gericht aus Art. 21 GG auch eine Verfassungsorganqualität der Parteien her und erkennt ihnen deshalb die Fähigkeit zu, Antragsteller im Organstreitverfahren nach Art. 93 I Nr. 1 GG zu sein20 . Beide Verfahrensarten sind danach abzugrenzen, ob die Partei in ihrer spezifischen verfassungsrechtlichen Funktion betroffen ist (Organstreit) oder nur wie jeder andere Verein auch (Verfassungsbeschwerde) 21. In Fall 3 ist die verfassungsrechtliche Funktion der Parteien durch die Änderung des Parteiengesetzes höchstens mittelbar betroffen22. Eine unzulässige Beschränkung von Grundrechten der P-Partei kommt daher grundsätzlich in Betracht. Aus dem Begriff »juristische Person" in Art. 19 III GG folgt, dass nur Gebilde erfasst sein können, die in irgendeiner Weise rechtlich verfasst sind. Schlichte Personenmehrheiten
wie die in Fall 4 erwähnte Versammlung oder die Familie LS. des Art. 6 GG fallen daher nicht in den Anwendungsbereich des Art. 19 III GG23 . Die in Fall 4 von G im eigenen Namen erhobene Verfassungsbeschwerde ist somit zulässig, die im Namen der Versammlung erhobene hingegen nicht.
II. Beschränkung auf inländische juristische Personen
Fall 5(24): Gegen den Verein „Kurdistan-Komitee e. V.", dessen Mitglieder überwiegend Ausländer waren und der ein Büro in Köln unterhielt, wurde ein Vereinsverbot verhängt. Verletzt dieses Verbot den Verein möglicherweise in seinem Grundrecht aus Art. 9 I GG?
Fall 6: Die C. Ltd., eine in Großbritannien gegründete, fast ausschließlich in Dänemark aktive Gesellschaft, dehnt ihre geschäftlichen Aktivitäten auf Deutschland aus und gründet zu diesem Zweck die Tochtergesellschaft „C. Germany Ltd." mit Sitz in Bonn. Sind die C. Germany Ltd. und/oder die C. Ltd. grundrechtsfähig? „Inländische juristische Personen" i. S. des Art. 19 III GG sind (zumindest) teilrechtsfähige Personenmehrheiten im o. g. Sinne, die ihren Sitz im Inland, d.h. innerhalb der Grenzen der Bundesrepublik haben25. Unter Sitz ist hierbei der effektive Sitz zu verstehen, also der tatsächliche Schwerpunkt der Tätigkeit 26 . Bei Niederlassungen ausländischer Unternehmen kommt eine Grundrechtsfähigkeit nach Art. 19 III GG jedenfalls dann in Betracht, wenn die Niederlassung durch Tochtergesellschaften erfolgt27. Dass die C. Germany Ltd. in Fall 6 nur die Tochter einer ausländischen Gesellschaft ist, ist für ihre Grundrechtsfähigkeit i. S. des Art. 19 III GG somit gleichgültig. Die C. Ltd. hingegen hat ihren Sitz außerhalb des Bundesgebiets und kann sich deshalb prinzipiell nicht auf Art. 19 III GG berufen28. Ob daraus, dass sie zumindest innerhalb der EU ansässig ist, etwas Anderes folgt, ist noch näher zu untersuchen. Art. 19 III GG ist ferner nicht zu entnehmen, dass die Grundrechtsfähigkeit neben dem Sitz im Inland auch die Verwendung einer inländischen Rechtsform voraussetzt. Die Regelung ist im Lichte des EU-Rechts, insbesondere der Niederlassungsfreiheit (Art. 43, 48 EG) auszulegen, so dass jedenfalls Gesellschaften, die nach dem Recht eines EU-Mitgliedstaates (z.B. eine britische Ltd.) oder nach genuin Europäischem Recht (z.B. eine EWIV oder eine SE29) als teilrechtsfähige Rechtssubjekte anzusehen sind, sich auf diesen Status auch sub specie Art. 19 III GG in der Bundesrepublik berufen können, sofern sie dort ansässig sind. Dass die C. Germany Ltd. in Fall 6 eine ausländische Rechtsform hat, spielt somit ebenfalls keine Rolle. Sie ist nach Art. 19 III GG grundrechtsfähig. Aus dem Wortlaut des Art. 19 III GG ergibt sich ferner, dass die Eigenschaft „inländisch" von der juristischen Person, nicht (notwendig) aber auch von ihren Mitgliedern erfüllt werden muss. Dass in Fall 5 die Mitglieder des Vereins mehrheitlich Ausländer sind (sog. Ausländerverein), ist für dessen Grundrechtsfähigkeit somit prinzipiell ohne Belang. Anders ist dies nach einer Ansicht jedoch dann, wenn sich ein Ausländerverein auf Deutschengrundrechte berufen will30.
Die Gegenansicht31 macht geltend, dass der Grundrechtsschutz einer juristischen Person nicht von der (schwankenden) Beteiligung an ihr abhängen könne und dass ein Ausschluss von den Deutschengrundrechten gegenüber den (minderheitlich) beteiligten Deutschen nicht zu rechtfertigen sei. Für die erstere Ansicht spricht, dass nur sie es ermöglicht, die Unterscheidung des Grundgesetzes zwischen Deutschengrundrechten und sonstigen Grundrechten auch auf juristische Personen zu übertragen. Folgte man der Gegenansicht, könnten Ausländer ferner schon durch Gründung einer EinMann-GmbH Grundrechtsfähigkeit auch für die Deutschengrundrechte erlangen. Der Gründer der Ein-Mann-GmbH könnte sich im Zeitpunkt der Gründung nicht auf die Vereinigungsfreiheit berufen, weil Art. 9 I GG ein Deutschengrundrecht ist, die GmbH nach ihrer Gründung allerdings schon32. Der Grundrechtsschutz für juristische Personen ist außerdem ohnehin schwächer als für Einzelpersonen, weil bei ersteren eine Änderung der Staatszugehörigkeit durch Sitzverlegung ins Ausland zum (abgesehen von Art. 101 12 und 103 I GG33) vollständigen Verlust der Grundrechtsberechtigung führen kann34, während Einzelpersonen selbst bei Änderung ihrer Staatsangehörigkeit die Menschenrechte des Grundgesetzes verbleiben. Der Verein in Fall 5 kann sich daher nicht auf Art. 9 I GG berufen. Umstritten ist die Einordnung von (teil-)rechtsfähigen Personenmehrheiten aus dem EU-Ausland ohne inländischen (effektiven) Sitz: Von der mittlerweile wohl h. L. wird gefordert, diese wegen des allgemeinen Diskriminierungsverbots nach Art. 12 EG den inländischen juristischen Personen gleichzustellen und auch auf sie Art. 19 III GG anzuwenden35. Nach dieser Ansicht wäre in Fall 6 neben der C. Germany Ltd. auch die C. Ltd. grundrechtsfähig. Dies überzeugt jedenalls im Ergebnis: Im Anwendungsbereich des EG-Vertrages ist prinzipiell jede Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit (bzw. bei Gesellschaften: Staatszugehörigkeit) verboten36. Eine Verweigerung der rundrechtsfähigkeit wegen eines (effektiven) Sitzes im EU-Ausland ist eine solche Diskriminierung und ihre Rechtfertigung verfassungs- wie europarechtlich nur schwer begründbar37. Das Argument der Gegenansicht, eine Anwendung des Art. 19 III GG auf Rechtssubjekte aus dem EU-Ausland sei nicht notwendig, weil die europarechtlichen Diskriminierungsverböte nach der Rechtsprechung des EuGH
ohnehin mit Anwendungsvorrang vor dem deutschen Recht unmittelbar gelten würden38, verkennt, dass ohne Anwendung des Art. 19 III GG diesen Rechtssubjekten jedenfalls der Rechtsweg zum BVerfG verschlossen bleibt39. Dass dies in europarechtlicher Hinsicht unbeachtlich sein soll, lässt sich trotz der geringen Erfolgsquote von Verfassungsbeschwerden wohl nur schwer geltend machen.
Europarechtsdogmatisch ist allerdings anzumerken, dass Art. 12 EG subsidiär zu den Grundfreiheiten des EG-Vertrages ist40. Im Anwendungsbereich einer dieser Freiheiten ist die Argumentation dafür, dass Art. 19 III GG auch für (teil-)rechtsfähige Rechtssubjekte aus dem EU-Ausland gilt, deshalb auf das entsprechende Diskriminierungsverbot (z. B. Art. 28 oder 43 EG) zu stützen
III. Grundrechtsberechtigung aus Art. 19 III GG
Fall 7: Die private Stiftung „Mütterhilfe" will für eine Veranstaltung einen staatlichen Zuschuss erhalten. Dies wird ihr verweigert. Die Geschäftsführerin Eva H sieht darin eine Verletzung der Grundrechte aus Art. 3 II GG und 6 IV GG. Zutreffend?
Fall 8: Die C. Ltd. aus Fall 6 verlegt ihren effektiven Hauptsitz in die Schweiz. In einem Wettbewerbsprozess der C. Germany Ltd. gegen ein Konkurrenzunternehmen will die C. Ltd. wenig später bestimmte Beweise vorlegen, um die Klage zu unterstützen. Das zuständige Gericht
lehnt dies jedoch ab. Liegt darin ein Grundrechtseingriff gegenüber der C. Ltd.?
1. Allgemeiner Umfang der Grundrechtsfähigkeit
Art. 19 III GG verschafft (teil-)rechtsfähigen Rechtssubjekten eine Berechtigung aus Grundrechten, „soweit (diese) ihrem Wesen nach" auf sie anwendbar sind. Diese Formulierung ist etwas nebulös41. Dennoch ergeben sich aus ihr zumindest drei klare Eingrenzungen: Ihrem Wesen nach anwendbar können nur Grundrechte sein, die nicht ausschließlich durch Einzelpersonen, sondern auch durch ein Kollektiv (oder zumindest durch dessen Organe) ausgeübt werden können42. Außerdem wird juristischen Personen die Grundrechtsfähigkeit durch Art. 19 III GG gerade deshalb zuerkannt, weil sie selbstständige Träger von Rechten und Pflichten sein können. Daher kann die Grundrechtsfähigkeit einer juristischen Person i. S. des Art. 19 III GG nie weiter reichen als ihre Rechtsfähigkeit bzw. ihr rechtliches Können43. Schließlich macht die Formulierung „soweit" deutlich, dass u.U. nur Teilgehalte eines Grundrechts Anwendung finden44.
Relativ unstreitig ist auch die Frage, in welchem zeitlichen Umfang sich juristische Personen auf Grundrechte berufen können. Aus Art. 19 III GG geht eindeutig hervor, dass natürliche und juristische Personen hinsichtlich der wesensmäßig auf beide anwendbaren Rechte gleichgestellt werden sollen. Diese Gleichstellung ist nur gegeben, wenn auch der Grundrechtsschutz juristischer Personen quasi von der Geburt bis zum Tod, d. h. von der Gründung bis zum Abschluss der Liquidation reicht45.
2. Anwendbare Grundrechte im Einzelnen
Ob eine juristische Person eine Persönlichkeit i. S. des Art. 2 I GG haben kann, erscheint zweifelhaft. Dennoch hält die ganz h. M. jedenfalls die allgemeine Handlungsfreiheit als Teil-gehalt des Art. 2 I GG auf juristische Personen i. S. des Art. 19 III GG für anwendbar46. Dies überzeugt, weil bei natürlichen und juristischen Personen das gleiche Bedürfnis besteht, vor prinzipiell allen belastenden staatlichen Maßnahmen geschützt zu sein. Ebenso gilt, da auch juristische Personen rechtswidrigen Ungleichbehandlungen ausgesetzt sein können, der allgemeine Gleichheitssatz nach Art. 3 I GG47. In welchem Umfang die „Neue Formel" des BVerfG, nach der personenbezogene Ungleichbehandlungen strengeren Anforderungen unterliegen als sachbezogene48, für juristische Personen Anwendung findet, ist umstritten49. Eine personenbezogene Ungleichbehandlung dürfte wohl vorliegen, wenn eine juristische Person wegen ihrer Rechtsform anders als andere juristische Personen behandelt wird. Werden juristische Personen im Vergleich zu Individuen unterschiedlich behandelt, kann diese Ungleichbehandlung auch deshalb gerechtfertigt sein, weil sie Vorgaben der Verfassung entspricht, die wie z. B. das Sozialstaatsprinzip nur auf natürliche Personen Anwendung finden50. Durch ein Kollektiv oder durch dessen Organe können ferner die wirtschaftlichen Grundrechte, das sind neben der allgemeinen wirtschaftlichen (Handlungsfreiheit (Art. 2 I GG) die Berufsfreiheit (Art. 12 I GG)51 und das Eigentum (Art. 14 I GG), ausgeübt werden52. Ähnliches gilt für die Vereinigungsfreiheit (Art. 9 I GG), die juristischen Personen i. S. des Art. 19 III GG insbesondere das Recht gewährleistet, sieb mit anderen (teil-)rechtsfähigen Einheiten z.B. zu Dachverbänden zusammenzuschließen53. Das Verhältnis zwischen Art. 9 I und 19 III GG ist im Übrigen umstritten: Das BVerfG sieht Art. 9 I GG als Doppel-
grundrecht, das sowohl Einzelnen die Gründung von, Beteiligung an und Betätigung in Vereinigungen garantiert als auch für die Vereinigung als solche (unabhängig von Art. 19 III GG) Rechte gewährleistet54. Besser der Verfassungssystematik entspricht wohl die Gegenposition55, die für die Gründung von Vereinigungen auf Art. 9 I GG abstellt, die Grundrechtsfähigkeit der gegründeten (oder in Gründung befindlichen) Vereinigungen aber auf Art. 19 III GG stützt. Die Koalitionsfreiheit nach Art. 9 III 1 GG kann auf Arbeitgeberseite unproblematisch von juristischen Personen wahrgenommen werden, auf Arbeitnehmerseite ist zumindest ein Zusammenschluss von Gewerkschaften zu Spitzenverbänden denkbar56. Die Freizügigkeit (Art. 11 GG) als Freiheit der Sitzbegründung und Sitzverlegung sowie die Unverletzlichkeit der Wohnung nach Art. 13 1 GG (v. a. zum Schutz von Geschäftsräumen) erstrecken sich ebenfalls auf juristische Personen57.
Einen weiteren Kreis von Grundrechten, die für juristische Personen i. S. des Art. 19 III GG gelten können, bilden die Kommunikationsgrundrechte der Art. 5 I und 8 GG. Zwar kann diese Rechte regelmäßig nicht das Kollektiv als solches ausüben, wohl aber ist ein Handeln durch die Organe (z. B. eine Meinungsäußerung oder das Organisieren und Abhalten einer Versammlung [vgl. Fall 4]) möglich. Auch die Ungestörtheit der Kommunikationsvorgänge ist in gleicher Weise Schützens wert wie bei natürlichen Personen. Daher findet das Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnis nach Art. 101 GG auf juristische Personen Anwendung58.
Anwendbar sind ferner die kulturellen Rechte, insbesondere die Kunst- und Wissenschaftsfreiheit (Art. 5 III 1 GG) sowie die Privatschulfreiheit nach Art. 7 IV GG59. Die Religionsund Weltanschauungsfreiheit nach Art. 4 I, II GG60 ist zwar nicht deshalb anwendbar, weil Kollektive als solche glauben oder eine Weltanschauung haben könnten, wohl aber deshalb, weil sie aus Art. 4 I, II GG berechtigten Individuen Foren dafür bieten, entsprechend ihren Überzeugungen zu leben und zu handeln61. Für die Ungleichbehandlung von aus Art. 4 I, II GG berechtigten juristischen Personen i. S. des Art. 19 III GG gilt das spezielle Diskriminierungsverbot nach Art. 3 III GG {„Glauben")62. Das BVerfG sieht Art. 4 I, II GG und Art. 5 III GG außerdem ähnlich wie Art, 9 I GG als „Doppelgrundrecbte" und erwähnt Art. 19 III GG bei der Frage der Religions- oder Wissenschaftsfreiheit von Kollektiven deshalb regelmäßig nicht63. Dies ist, wie dargelegt, aus verfassungssystematischen Gründen nicht sinnvoll.
Auch eine Berufung juristischer Personen auf politische Rechte, die kollektiv ausgeübt werden können, wie das Petitions-recht (Art. 17 GG) und das Widerstandsrecht {Art. 20 IV GG) erscheint nicht ausgeschlossen64, Letzteres allerdings nur, soweit man unter „Grundrechten" i. S. des Art. 19 III GG auch Rechte außerhalb der Art. 1-19 GG versteht.
Aus der (Teil-)Rechtsfähigkeit der in den Anwendungsbereich des Art. 19 III GG fallenden Rechtssubjekte ergibt sich zwangsläufig ein Bedürfnis nach Rechtsschutz. Daher können sich juristische Personen LS. des Art. 19 III GG auch auf die Rechtsschutzgarantie des Art. 19 IV GG berufen65. Ebenso gelten die Grundrechte nach Art. 103 II, III GG jedenfalls insoweit, als das Handeln juristischer Personen den Strafgesetzen unterliegt66.
3. Nicht anwendbare Grundrechte
Nicht anwendbar LS. des Art. 19 III GG sind Grundrechte, die ihrem Wortlaut oder Sinn und Zweck nach nur durch Individuen ausgeübt werden können. Hierzu zählen zunächst die Grundrechte aus Art. 2 II GG: Körperlich unversehrt sein und leben im medizinisch-biologischen Sinne (Art. 2 II 1 GG) kann eine juristische Person ebenso wenig wie sie eine körperliche Fortbewegungsfreiheit L S. des Art. 2 II 2 und 104 GG besitzt. Eine juristische Person hat ferner kein Geschlecht und kann daher nicht aus Art. 3 II 1 GG berechtigt sein. Auch die speziellen Ungleichbehandlungsverböte nach Art. 3 III GG können jedenfalls insoweit keine Anwendung finden, als sie an spezifisch menschliche Eigenschaften anknüpfen (Geschlecht, Abstammung, Rasse, Sprache, Behinderung)67. Für Art. 4 I Var. 2 GG (Gewissensfreiheit) gilt Entsprechendes, da eine juristische Person kein gegenüber dem Gewissen ihrer Mitglieder eigenständiges Gewissen haben kann.
Für die in Art. 3 II 1, 3 III und 4 I Var. 2 GG genannten Rechte kann sich zwar eine juristische Person als Interessenvertretung einsetzen. Dies reicht jedoch nicht aus, um eine Grundrechtsfähigkeit nach Art. 19 III GG anzunehmen, denn Art. 19 III GG zielt schon seinem Wortlaut nach („auf diese") auf eine eigenständige Grundrechts berech tigung ab, nicht auf eine Art grundrechtlicher Prozessstandschaft68.
Ausgeschlossen ist ferner eine Eheschließung oder gar eine Elternschaft durch juristische Personen. Auch Art. 6, 7 II GG sind daher nicht anwendbar. Die Ansicht der H in Fall 7 ist somit unzutreffend.
Ebenso können juristische Personen nicht gegen ihren Willen zum Kriegsdienst mit der Waffe (Art, 4 III 1 GG) und zur Erteilung von Religionsunterricht (Art. 7 III GG) gezwungen oder zur Zwangsarbeit verpflichtet werden {Art. 12 II, III GG).
Eine weitere Gruppe auf juristische Personen nicht anwendbarer Grundrechtsgehalte bilden diejenigen, die engen Bezug zur Menschenwürde nach Art. 1 I GG aufweisen und die
deshalb (wie die Menschenwürde selbst) nur Individuen zustehen können: Dazu gehören Teile des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts i.S. des Art. 21 i.V. mit 1 I GG mit spezifischem Menschenwürdebezug, insbesondere das Recht, sich nicht selbst einer Straftat bezichtigen zu müssen69. Elemente dieses Grundrechts ohne diesen Bezug (z.B. das Recht am gesprochenen Wort70) finden hingegen nach Art. 19 III GG Anwendung71. Ob juristische Personen ein umfassendes Recht auf informationelle Selbstbestimmung haben, kann regelmäßig dahinstehen, weil zumindest ihre wirtschaftlichen Daten über die entsprechenden wirtschaftlichen Grundrechte geschützt sind72. Auf Grund des engen Bezugs zur (individuellen) Menschenwürde ebenfalls nicht anwendbar sind der Schutz vor Ausbürgerung und Auslieferung (Art. 16 I und II 1 GG) sowie das Asylrecht (Art. 16 a GG)73.
Abgesehen davon, dass vorab zu klären wäre, ob Art. 19 III GG mit dem Begriff „Grundrechte" nur diejenigen der Art. 1-19 GG meint74 oder auch grundrechtsgleiche Rechte75, kommt jedenfalls bei Art. 33 I—III und 38 GG ein Schutz juristischer Personen nicht in Betracht76. Staatsbürgerliche Rechte und Pflichten haben, öffentliche Ämter bekleiden oder gar wählen können nur natürliche Personen.
4. Sonderfall: Justizgrundrechte und allgemeines Willkürverbot
Einen Sonderfall stellen die Rechte aus Art. 10112 und 103 1 GG dar: Diese erkennt das BVerfG allen in- und ausländischen zumindest teilrechtsfähigen Rechtssubjekten zu77. Begründet wird dies damit, dass Art. 1011 2 und 103 l GG keine Individualrechte, sondern objektive Verfahrensgrundsätze seien und auch formell nicht zu den Grundrechten gehörten78. Die Qualität als (zugleich) objektiver Rechtssatz kommt jedoch auch den Grundrechten zu79. Außerdem spricht der Wortlaut beider Bestimmungen klar dafür, dass es sich um Individualrechte handelt. Die Sicht des BVerfG lässt sich am ehesten mit der Verfassungssystematik begründen. Dieser Begründungsansatz ist jedoch ambivalent: Bezieht man den Begriff der Grundrechte in Art, 19 III GG nur auf Art. 1-19 GG, könnte man daraus ableiten, dass (teil-)rechtsfähige Rechtssubjekte sich auf andere Rechte aus der Verfassung ohne Einschränkungen berufen können. Genauso wäre es aber möglich, Art. 19 III GG so zu lesen, dass eben nur die Grundrechte der Art. 1-19 GG auch für juristische Personen gelten können. Eine Anwendung der Justizgrundrechte auf Rechtssubjekte, die nicht unter Art. 19 III GG fallen, ist im Ergebnis aber dennoch zutreffend, denn dies gebietet der Grundsatz der prozessualen Waffengleichheit80. Dass sich wie in Fall 8 eine ausländische juristische Person auf ein Justizgrundrecht (hier Art. 103 I GG) beruft, ist daher denkbar81.
Neben den Justizgrundrechten wendet das BVerfG auch das allgemeine Willkürverbot auf schlechthin alle zumindest teilrechtsfähigen Rechtssubjekte an, verankert dieses Gebot allerdings nicht in Art. 3 I GG, sondern im Rechtsstaatsprinzip82. Dies überzeugt. Das allgemeine Willkürverbot ist elementarer Bestandteil des im Rechtsstaatsprinzip wurzelnden Grundsatzes der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung und daher unabhängig von Art. 19 III GG anwendbar83.